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18. Stuttgarter Sportgespräch

2023

Wie (un)politisch ist der Sport?“

„Nicht unpolitisch – aber politisch neutral“

 

– IOC-Präsident Thomas Bach über das Dilemma des Sports –

– Stuttgarter Sportgespräch 2023 –

„Unsere Mission ist keine politische – unsere Mission ist eine humanitäre für die Menschen und für den Sport“ sagte IOC-Präsident Thomas Bach beim Stuttgarter Sportgespräch am 6. November 2023 und beschrieb zugleich die Gratwanderung des Sports in schwierigen Zeiten: „Der Sport kann nicht unpolitisch sein, er ist politisch, zwangsläufig; aber er muss politisch neutral sein.“ Wie kann dies angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Frage einer Teilnahme russischer Sportler an Olympischen Spielen gelingen? „Es ist natürlich ein Dilemma“, so Bach. „Wir verstehen die ukrainischen Sportler. Wir haben einen Fonds geschaffen für die ukrainischen Athleten, die sich ihrerseits in einem Dilemma befinden: Während in der Heimat gekämpft wird, sollen sie sich auf Olympische Spiele vorbereiten und Höchstleistungen abrufen.“ „Heute Nacht geht es los“ – Reaktionen des IOC auf den russischen Angriffskrieg Bach beschrieb anschaulich, wie er die Tage und Stunden vor dem russischen Überfall erlebte: „Wir waren in Peking zu den Winterspielen und haben dort jeden Abend die Lage im Nachrichtenspiegel angeschaut. Bei der Eröffnungsfeier habe ich noch in Anlehnung an John Lennon gesagt: „Give peace a chance!“. Am Mittwochnachmittag bekam ich einen Anruf aus der Ukraine mit der Ankündigung: „Heute Nacht geht es los“. Schon wenige Stunden später haben wir den russischen Angriff als erste internationale Sportorganisation verurteilt. Wenige Tage darauf haben wir das russische NOK suspendiert, weil es die usurpierten Gebiete in den eigenen Zuständigkeitsbereich aufgenommen hat“, schilderte Bach die dramatischen Stunden und Tage im Februar 2022. „Wenn wir anfangen, alle zu sperren, wäre der weltweite Sport am Ende.“ Zugleich verdeutlichte er, dass die Spiele trotz dieses Krieges und zahlreicher weiterer Kriege stattfinden sollen und müssen, um die Athleten im Sport zusammenzuführen: „Wir hatten immer schon kriegerische Auseinandersetzungen – immer haben die Athleten teilgenommen; wenn wir anfangen, alle zu sperren, wäre der weltweite Sport am Ende. Wir können nicht die Spiele aufgeben. Wir haben eine sehr starke geopolitische Spannung. Da zu sagen, wir opfern die Spiele – das wäre die vollkommen falsche Herangehensweise“. Gerade in diesen Zeiten müsse der Sport eine Kontrapunkt setzen. „Ich wüsste nicht, dass wir einen Weltkrieg haben“, ergänzte Bach, als er von Moderator Jens Zimmermann auf die Absage der Olympischen Spiele in den Jahren 1916, 1940 und 1944 angesprochen wurde. „Die Welt wird von der Politik regiert, nicht vom Sport“. Zudem dürfe man den Sport nicht überfordern: „Wenn der Sport zu jedem Konflikt eine Schiedsrichterrolle einnimmt, ist es das Ende des internationalen Sports“, verdeutlichte Bach die aus seiner Sicht bestehenden Grenzen der politischen Einflussnahme. Die Welt werde von der Politik regiert „nicht vom Sport“. Zugleich hob Bach die völkerverbindende Rolle des Sports hervor, die schon Pierre de Coubertin anlässlich der Einführung der Olympischen Spiele der Neuzeit betont hatte: „Die Menschen brauchen noch etwas, was sie verbindet“. Dass der organisierte Sport dennoch nicht „unpolitisch“ ist, zeigt sich wie in einem Brennglas an der anstehenden Entscheidung über die (Nicht-) Teilnahme russischer und belarussischer Athleten an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris. Das IOC mit seinem Präsidenten an der Spitze erwägt, russische und belarussische Sportler unter neutraler Flagge starten zu lassen, solange sie den Angriffskrieg nicht aktiv unterstützen. Wer aber bewerte das und entscheide letztlich, ob ein russischer oder belarussische Sportler den Krieg unterstützt? Bach verwies darauf, dass die Entscheidung nicht vom IOC, sondern von unabhängigen Organisationen getroffen würde. Die zugrunde liegenden Regeln seien „klar und deutlich“. Die Gefahr, dass entscheidende Informationen über eine Unterstützung des Krieges untergingen, sei gering: „Unsere ukrainischen Freunde sind sehr aufmerksam; das hilft dabei, die notwendigen Informationen zu erhalten“. Bach erläuterte, dass in erster Linie ohnehin nicht das IOC selbst, sondern die internationalen Spitzenverbände über die Teilnahme der Athleten bei den Olympischen Spielen entschieden: „Das IOC ist nicht die Weltregierung des Sports; wir können den internationalen Fachverbänden nicht per Ordre de Mufti vorschreiben, wie sie das handhaben sollen“. Vielmehr zählten zu den von den Fachverbänden festzulegenden Regeln auch die Teilnahmeberechtigung („eligibility“). Auf Frage aus dem Publikum verdeutlichte Bach, das IOC und er persönlich als IOC-Präsident hätten keine Chance gehabt, auf Putin einzuwirken, um den Angriffskrieg zu verhindern: Das Verhältnis zwischen IOC und Russland sei aufgrund der Dopingskandale in Russland in den letzten Jahren deutlich abgekühlt. „Indirekter Faktor zur Sicherung des Weltfriedens“ Mehrfach sprach der IOC-Präsident das einleitende, prägnante Impulsreferat von Rechtsanwalt Dr. Matthias Breucker an, das ausgehend vom Olympischen Waffenstillstand zur Sicherstellung friedlicher Spiele („Ekecheiria“) bis hin zum heutigen Neutralitätsgebot eine Linie zog und darlegte, dass nach Regel 50.3 der aktuellen Olympischen Charta „jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda“ bei oder im Zusammenhang mit Olympischen Spielen untersagt sei. Breucker zitierte den später auch von Bach erwähnten Begründer der modernen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin, der Ende des 19. Jahrhunderts in der gemeinsamen Sportausübung einen „indirekten Faktor zur Sicherung des Weltfriedens“ sah. Die Völkerverständigung sollte demnach, so Breucker, nicht durch aktive, eigenständige politische Stellungnahmen, sondern schlicht durch die gemeinsame Sportausübung und deren völkerübergreifenden Charakter gefördert werden. Die Zuständigkeit des Sports und ihre Grenzen Man müsse, analysierte Breucker, die Frage stellen, wofür der organisierte Sport zuständig sei: Während dies für sportspezifische Regeln – etwa die sportlichen Qualifikationskriterien und Spielregeln – eindeutig sei, falle die staatliche Politik im Sinne der Sorge um das allgemeine Wohl sicherlich nicht in die Zuständigkeit von Sportverbänden. Schwierig zu entscheidende Grenzfälle ergäben sich, wenn ein Missbrauch der Spiele etwa zu Propagandazwecken naheliege; hier sei der Sport gefordert, sich zur Wahrung seiner politischen Neutralität solchen Usurpationen entgegenzustellen. Im Zwiegespräch mit der dreifachen Olympiateilnehmerin und dreizehnfachen deutschen Meisterin im Gerätturnen Kim Bui begrüßte Bach deren Engagement für die Athleten und ihre angekündigte Kandidatur für die IOC-Athletenkommission: „Nach dem politisch motivierten Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau hatte ich mich entschlossen, alles dafür zu tun, dass so etwas nicht mehr geschehe und habe mich – angesprochen von Willi Daume – in der Athletenkommission engagiert“, erinnerte sich Bach. Ob die Stimme der Athleten im IOC gehört werde? „In meiner Zeit als Athletensprecher gab es keine Vorlage der Athletenkommission, die im IOC-ExCo [Exekutivkomitee des IOC] nicht angenommen wurde – das sage ich in nostalgischer Erinnerung und mit einem Augenzwinkern zu Kim Bui“, sagte Bach. Kim Bui begrüßte das politische Neutralitätsgebot bei Olympischen Spielen: Die Athleten kämen zusammen, um ihren Sport auszuüben, worauf sie sich mehrere Jahre vorbereitet hatten; da sei es zu begrüßen, dass der Fokus auf den Sport nicht durch politische Stellungnahmen beeinträchtigt werde. Olympische Spiele in Deutschland? Bach begrüßte die Idee, dass Olympische Spiele wieder einmal in seinem Heimatland ausgetragen werden könnten. Zugleich wies er darauf hin, dass die derzeitigen Reisebeschränkungen einer erfolgreichen Bewerbung entgegenstünden: „Das IOC kann seine Spiele nur dorthin vergeben, wo seine Regeln akzeptiert werden. Dies setzt voraus, dass alle vom IOC akkreditierten Personen – vom Athleten bis hin zum Pressevertreter – einreisen dürften.“ Kandidatur für eine dritte Amtszeit? Im Gespräch mit dem ARD-Sportreporter und Sportpolitikexperten Philipp Sohmer nahm Bach zu der jüngst von IOC-Mitgliedern vorgeschlagenen Satzungsänderung Stellung, die ihm abweichend von den bisherigen Statuten eine dritte Amtszeit ermöglichen würde; er wies zurück, dass es sich um eine Inszenierung gehandelt haben könnte. Vielmehr lägen den Vorschlägen im Wesentlichen zwei Erwägungen zugrunde: „Das eine Argument ist, dass ein gewisser Wahlkampf von einigen Mitgliedern bereits begonnen hat in Tokio, dass die Mehrheit der Mitglieder das als störend empfunden hat. Sie wollen nicht, dass jetzt alle wichtigen Entscheidungen beeinflusst werden von Kandidaturen.“ Zudem bestünde in turbulenten Zeiten der Wunsch nach Kontinuität, so dass es nach Ansicht mancher IOC-Vertreter schwierig sein, „jetzt das Team zu wechseln“. Der Respekt vor den IOC-Vertretern und vor demokratischen Prinzipien gebiete es, „dass man das nicht auf der Bühne abwatscht“. Vielmehr sei es geboten, „dass man mit diesen Leuten spricht, nach den Beweggründen fragt und dass man ihnen dann, wenn das entscheidungsreif ist, diese Entscheidung begreiflich macht.“ Persönlich habe er sich „gefreut über diesen Zuspruch, der von verschiedenen Kontinenten kam.“ In der Folge fänden nun „interne Beratungen“ in einem „offenen Dialog“ statt, die zu gegebener Zeit in eine Entscheidung münden würden, “die niemanden in eine Ecke stellt“, so der 69-jährige. Zum 18. Mal hatte die Kanzlei Wüterich Breucker zum Sportgespräch nach Stuttgart geladen. Mit launigen Worten hatte Dr. Marius Breucker ca. 350 Gäste im Eventcenter nahe des Hauptbahnhofs begrüßt und dabei unter anderem den irischen Literaturnobelpreisträger und Politiker George Bernard Shaw zitiert: „Olympische Spiele sind eine wundervolle Gelegenheit, Zwietracht auch unter solchen Nationen zu stiften, die sonst keine Reibungsflächen haben.“ Nach dem Grußwort des Sportbürgermeisters der Stadt Stuttgart, Dr. Clemens Maier, hatte der IOC-Präsident im eineinhalbstündigen Zwiegespräch mit Moderator Jens Zimmermann die Gelegenheit, sich mit diesem Bonmot auseinanderzusetzen und die Möglichkeiten und Grenzen der Olympischen Bewegung in politisch bewegten Zeiten darzulegen. Edwin Moses, die US-Basketballer und das olympische Dorf Wie immer hatten die Teilnehmer aus Sport und Gesellschaft, Gelegenheit, Fragen an die Gäste zu richten. In Zuge dessen hob Bach die Bedeutung des olympischen Dorfes für den olympischen Geist hervor: Besonders beeindruckt habe ihn eine Begegnung mit dem ehemaligen 400 m-Hürden-Olympiasieger Edwin Moses, der bei den Olympischen Spielen 1992 das „Dream Team“ der US-Basketballstars aus der NBA betreute: Die US-Basketballer lebten damals – standesgemäß – im Fünf-Sterne-Hotel; nachdem sie jedoch die Atmosphäre im olympischen Dorf kennengelernt hatten, äußerte Edwin Moses gegenüber Bach, dass die US-Basketballer das nächste Mal auch im olympischen Dorf wohnen wollten. Dies unterstreiche, welche Bedeutung das Zusammenleben der Athleten bei Olympia habe, und dass jeder Sportler etwas verpasse, der sich gegen einen Aufenthalt im olympischen Dorf entscheide. Die angeregte Diskussion fand unter den Teilnehmern anschließend ihre Fortsetzung, darunter aktive und ehemalige Athleten wie die Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Degenfechten Britta Heidemann, Verantwortungsträger wie der Präsident des Deutschen Skiverbandes und ehemalige Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsident Dr. Franz Steinle sowie Experten wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter und Nestor des deutschen Sportrechts Professor Dr. Udo Steiner. Die Kanzlei Wüterich Breucker wird die Reihe des Stuttgarter Sportgesprächs im Jahr 2024 mit der 19. Auflage fortsetzen.

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