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16. Stuttgarter Sportgespräch

2020

„Ausverkauf der Werte –
funktioniert Spitzensport
nur noch als Event?“

Biathlon auf Schalke, Beachvolleyball im Stadion am Rothenbaum in Hamburg oder die geplante Fußball-WM-Endrunde 2022 in Katar – zur „Eventisierung“ des Sports diskutierten in Stuttgart der Beachvolleyballer Julius Brink, FIS-Generalsekretärin Sarah Lewis, Christian Klaue (Vertreter des IOC) und der Präsident des Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart, Claus Vogt.

Das „Stuttgarter Sportgespräch“ stellte in seiner jüngsten Auflage die Frage nach dem „Ausverkauf der Werte“ im Spitzensport. Kommt es, so die Frage von Dr. Marius Breucker im Impulsreferat, den Zuschauern überhaupt noch auf den Sport an? Ist es, wenn die emotionale Party stimmt, noch relevant, ob unten auf dem Feld, besser gesagt: in der „Arena“, Eishockey, Tennis, Volleyball oder Skispringen geboten wird?

Im Interesse der Gewinnmaximierung unternehmen Sportveranstalter alles Erdenkliche, um dem Zuschauer auch unabhängig vom eigentlichen Sportgeschehen beste Unterhaltung zu bieten: Von kulinarischer Versorgung, bald über Drohnen über dem Zuschauerrang, musikalische Beschallung durch „Live-Acts“, Gewinnspiele und Animation über Stadionlautsprecher bis hin zu einem Swimmingpool auf der Tribüne, aus dem man das Match badend beobachten kann, wie im Footballstadion der Dallas Cowboys – der Gestaltung jenseits des Sportgeschehens sind, so scheint es, keine Grenzen gesetzt.

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  & Impulsreferat  

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Nun war, worauf Mit-Organisator Marius Breucker in seinem prägnanten Impulsreferat hinwies, Spitzensport schon immer mehr als bloße Leibes Ertüchtigung und puristischer Wettstreit: Schon im antiken Olympia diente der Sport kultischen Zwecken. So orientierte sich der Austragungsort nicht an den Anforderungen des Sports, sondern an der Heiligkeit des Ortes. Schon damals sollten die Zuschauer Teil eines „Großen Ganzen“ sein, schon damals wurden nicht die Spiele selbst, sondern auch das Drumherum zelebriert und transzendent aufgeladen. Die Athleten, und namentlich die Sieger, wurden wie Helden verehrt, und die Zuschauer feierten anlässlich der Spiele ein ausgelassenes, bisweilen rauschhaftes Fest. Sport war also, so der Referent, schon immer ein „Ereignis“. Dass aus dem Ereignis aber ein „Event“ in heutiger Prägung wurde, ist eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts und ging mit der Professionalisierung einher: Mit der schrittweisen Zulassung der zuvor verpönten Professionals zu den Olympischen Spielen unter IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch Ende der 70er Jahre öffnete der Sport die Büchse der Pandora. In der Folge hielten die Gesetze des Marktes nicht nur auf, sondern ebenfalls neben dem Platz Einzug. Auch Politik und Rechtsprechung maßen den Sport im Wesentlichen an ökonomischen Kriterien: Die „Bosman-Entscheidung“ aus dem Jahr 1995 unterwarf die Sportler uneingeschränkt der europäischen Arbeitnehmerfreizugigkeit, ohne auf Besonderheiten des Sports, etwa eine Beschränkung ausländischer Athleten im Interesse der Nachwuchsforderung, Rucksicht zu nehmen. Auf dieser Linie lag auch die Entscheidung der EUKommission aus dem Jahr 2017 gegenüber der International Skating Union (ISU), wonach ein Weltverband die Teilnahme an eigenen Wettbewerben nicht an den Verzicht auf die Mitwirkung an privaten Konkurrenzveranstaltungen knüpfe durfe. Im Ergebnis bedeutet dies die Aufgabe des den Sport bislang prägenden „Ein-Platz-Prinzips“, wonach für jede Sportart nur jeweils ein Verband die Regeln und offiziellen Wettbewerbe bestimmt. Die Folgen sind schon jetzt auszumachen und werden künftig verstärkt private Sportveranstaltungen tangieren, die sich an betriebswirtschaftlichen Kriterien orientieren. Die vom Deutschen Ringerbund nicht anerkannte, privat organisierte Deutsche Ringer Liga (DRL) oder die vom ukrainischen Milliardär Kostjantyn Hryhoryschyn gegründete International Swimming League sind signifikante Beispiele. Die privat organisierten Profiligen der USA – etwa die National Football League (NFL) – zeigen, wohin diese Entwicklung fuhren kann. Eventisierung existiert aber auch ohne Emotionen vor Ort: Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Katar war als Fernseh-Event inszeniert. Vor dem 100-Meter-Finale der Männer wurden die Namen der Teilnehmer mit Lichteffekten in riesigen Lettern auf die Laufbahn projiziert, Kameras in den Startblocken filmten die Gesichter der Athleten vor dem Start von unten aus einer unangenehm privaten Perspektive. Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Fernseher verfolgten den so inszenierten Wettbewerb – die Zuschauerrange im Stadion blieben dagegen weitgehend leer. Die Athleten hatten sich bei 40 °C warmzumachen - um dann im künstlich auf 26 °C herunter gekühlten Stadion anzutreten. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) schrieb von den Marathonläufern als „Selbsterfahrungsgruppe zu Nahtoderfahrungen“. Wo bleiben dabei klassische Werte des Sports wie Körperertüchtigung, Fairness, Solidarität und Authentizität? Bei aller Problematik bezüglich dieser Entwicklung betonte Marius Breucker auch die Chance der Eventisierung namentlich für Randsportarten: Wenn sich kleinere Sportarten, wie bei den „Deutschen Finals“ zusammenfinden, um die sonst wenig beachteten Deutschen Meisterschaften gebündelt einem größeren Publikum zu präsentieren, liegt darin die Chance, sich gegenüber dem medial übermächtigen Fußball zu positionieren und die eigene Sportart zukunftsfähig zu gestalten. Dies betonte auch Sarah Lewis, Generalsekretärin des Internationalen Skiverbandes: Es sei gut, wenn der Sport zu den Menschen und der Wintersport auch in die Städte komme, um dort für den Sport zu werben und die Zuschauer zu animieren, selbst einmal die Skier anzuschnallen. Auch Julius Brink, Beachvolleyball-Olympiasieger in London 2012, betonte, eine individuelle Präsentation der Sportler sei durchaus geeignet, eine persönlichere Beziehung zu den Protagonisten aufzubauen, was den Sport attraktiver mache. Ein gutes Drumherum sei geeignet, volle Stadien und tolle Erlebnisse für alle Beteiligten zu schaffen. Claus Vogt, noch als Initiator der kommerzialisierungskritischen Fußball-Initiative „FC Play-Fair!“ zur Stuttgarter Veranstaltung eingeladen und dann vor dem Sportgespräch zum Präsidenten des VfB Stuttgart gewählt, äußerte sich zurückhaltend zu der Frage, ob ein Pool im Stadion auch für den VfB denkbar sei: „Das Ware aus Sicht der Fans wohl nicht positiv“, sagte er. Zugleich verwies er darauf, dass im professionellen Fußball seit einigen Jahren eine Rückbesinnung auf den sportlichen Kern und traditionelle Werte zu beobachten sei; Helene Fischer habe dies schmerzlich erfahren, als sie in der Halbzeitpause des DFB-Pokalfinales 2017 ausgepfiffen worden war. Christian Klaue, Director Corporate Communications and Public Affairs im IOC, freute sich auf die Inszenierung der anstehenden Olympischen Spiele 2020 in Tokio, falls sie denn wegen des grassierenden Coronavirus überhaupt stattfinden können: Es wurden urbane Olympische Spiele werden mit BMX, Basketball im Drei-gegen-Drei-Format und Skateboard-Wettbewerben; und es gelte der Grundsatz: Wenn der Zuschauer nicht mehr zum Sport komme, musse sich der Sport eben zum Zuschauer hinwenden. Christian Klaue zitierte Pierre de Coubertin mit den Worten: Sport ohne Werte sei wie eine Militärparade. In Abwandlung hierzu habe IOC-Präsident Dr. Thomas Bach gesagt: „Sport ohne Werte ist nur Unterhaltung“. Daraus folge: Sport dürfe zwar unterhalten, aber nicht in die reine Unterhaltung abgleiten. Im Interview des von Jens Zimmerman souverän moderierten Sportgesprächs erläuterte der Sportchef des Südwestrundfunks (SWR), Harald Dietz, dass sich die Fernsehsender auf die modernen Formate des Sports einstellten und versuchten, neue Regeln, wie etwa die geänderte Windregel im Skispringen, für die Zuschauer so gut wie möglich zu visualisieren. Das Fernsehen nehme aber weder Einfluss auf die Regeln noch auf die Startzeiten der Wettbewerbe. Angesprochen auf die problematischen Nahaufnahmen aus den Startblocken in Doha teilte Harald Dietz mit, diese seien dem SWR nicht bekannt gewesen; es habe nur ein einheitliches Weltbild gegeben, das von den übertragenden Sendeanstalten übernommen werden musste. Der dreifache Ringerweltmeister Frank Stäbler schilderte anschaulich, wie er bis zuletzt um den Verbleib seiner Sportart im Olympischen Programm gezittert habe. Als Vertreter einer Randsportart plädierte er für eine professionelle und ansprechende Präsentation und Inszenierung des Sports: Nur so kämen Zuschauer und Sportler in die richtige Stimmung. Er erinnerte daran, dass gerade im traditionellen Ringersport hier immer noch Potential schlummere, auch wenn sich viel verbessert habe. Zu Beginn seiner Karriere sei er von Funktionären noch gerügt worden, als er in Kampfpausen Musik über eine CD eingespielt habe. Im Ergebnis waren sich die Protagonisten einig: Wenn der Sport im Mittelpunkt bleibe, könne eine Eventisierung durchaus zu einer ansprechenden Präsentation beitragen und damit das Erlebnis für Sportler und Zuschauer attraktiver machen. Der Sport und namentlich die Athleten dürften aber nicht darunter leiden. Dort sei die Grenze zu ziehen, anderenfalls drohe das Pendel zurückzuschlagen, wie die jüngere Entwicklung im Fußball zeige. Im Anschluss an das Podium setzten die zu Beginn von Dr. Christoph Wüterich begrüßten 350 geladenen Gaste die Diskussion fort, die sinnigerweise in einem „Eventcenter“ stattfand, Sportbürgermeister Dr. Martin Schairer hatte in seinem Grußwort hervorgehoben, dass sich das Sportgespräch als Forum für den Gedankenaustausch im Sport etabliert habe und eine Fortsetzung der inzwischen schon traditionellen Veranstaltung gewünscht sei. Dieser Wunsch ist wohl Vater des Gedankens.

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